Bei der Verbindung von Ober- und Unterkörper kommt es auf ein gutes Zusammenspiel von Schulter, Hüfte und Taille an. Dieser Artikel geht auf einige Punkte zu diesem Thema ein.
Ganzheitliche Körperstruktur
Die Wirkungsweise des Tai Chi lebt davon, dass sich der Körper als Ganzes bewegt. Dies gilt sowohl für den gesundheitlichen als auch für den kämpferischen Aspekt. Schaut man sich den menschlichen Körper von außen an, bestimmen vor allem die Ausrichtung von Schulter, Taille und Hüfte die Stabilität des Rumpfes. Und nur mit einem stabilen Rumpf lassen sich dann auch Arme und Beine zu einem einheitlichen Ganzen verbinden.

Wie in der obigen Abbildung leicht zu erkennen ist, entsteht die Stabilität dadurch, dass die Ebenen von Schulter, Taille und Hüfte waagerecht ausgerichtet sind. Hätten die Ebenen unterschiedliche Neigungswinkel, müsste der Körper die schräge Haltung ausgleichen und es käme unweigerlich zu unnötiger Muskelanspannung in einigen Bereichen.
Mit den waagerecht ausgerichteten Ebenen kann sich die Wirbelsäule gerade aufrichten, so dass sich zwischen ihr und den waagerechten Ebenen stabile rechte Winkel ergeben. Der gesamte Rumpf kann Dank dieser inneren Stabilität loslassen.
Der Tai Chi-Klassiker von Zhang Sanfeng
Dem legendären Gründer des Tai Chi, Zhang Sanfeng (張三丰), wird ein wichtiger klassischer Text über die Tai Chi-Praxis zugeschrieben. Ob es diese legendäre Figur tatsächlich gegeben hat und der Text von ihr verfasst wurde, soll hier außen vor bleiben. Entscheidend ist, dass diese klassische Schrift wertvolle Hinweise für die Praxis gibt.
Der im Zusammenhang mit Schulter, Taille und Hüfte relevante Satz lautet im Original und in Übersetzung wie folgt:
其根在腳,發於腿,主宰於腰,形於手指,由腳而腿而腰,總須完整一氣。
Die Wurzeln liegen in den Füßen, es entfaltet sich in den Beinen, wird von der Taille gelenkt und zeigt sich in den Fingern. Von den Füßen über die Beine zur Taille – alles muss eine durchgehende, zusammenhängende Einheit sein.
Das Schriftzeichen 腰 (yāo) bedeutet „Taille“ und ist leicht zu verwechseln mit dem Zeichen 胯 (kuà), womit die Hüfte bzw. das Becken gemeint ist. Hier kommt es manchmal zu Ungenauigkeiten bei der Übersetzung und es wird mit „Hüfte“ statt mit „Taille“ übersetzt.
Der Taille kommt also eine besondere Rolle zu, sie ist quasi eine Art Schaltzentrale im Rumpf und bestimmt die Bewegungsrichtungen.
Durchlässige Taille und Hüfte
Taille und Hüfte müssen locker und durchlässig sein (輕鬆腰胯 qīngsōng yāokuà). Dies wird dadurch erreicht, dass die Taille entspannt, aufrecht, natürlich, leicht und flexibel ist. Die Bewegungen sollen nicht durch den Einsatz von Gelenken und Muskeln forciert, sondern mit Hilfe des YiQi durch Kreisbewegungen eingeleitet werden.
Jede einzelne Bewegung im Ablauf der Tai Chi-Form hat ihre optimale Taillen-Ausrichtung. Und bei den Übergängen zwischen den Bewegungen muss die Taille entsprechend angepasst werden. Es ist gar nicht so einfach, dies bei den teilweise komplexen Bewegungen korrekt umzusetzen, ohne nicht doch in der Hüfte oder im Rumpf anzuspannen. Dies gilt umso mehr, wenn die Bewegungen dynamisch mit Gegendruck oder -zug eines Partners ausgetestet werden.
Taille als Achse eines Mühlsteins
Ein klassisches Bild für die Taille ist der Vergleich mit einem Mühlstein. Die Taille ist dabei die Achse des Mühlsteins. Damit ein Mühlstein sauber mahlen kann, muss er flach aufliegen und darf nicht durch Schräglage verkantet sein. So verhält es sich auch mit der Hüfte. Die Hüfte muss waagerecht sein (siehe Abbildung oben), und die Taille als Achse des Mühlsteins bestimmt die Rotation. Daraus ergibt sich die Grundregel: Die Taille führt die Hüfte, nicht die Hüfte die Taille. Dies ist entscheidend, denn sobald der Fokus zu stark auf der Hüfte liegt, kommt es dort unweigerlich zu unnötigen Anspannungen.

Bei den Richtungswechseln der Taillenbewegungen reicht ein subtiler Impuls mit Hilfe des Yi aus, ein stärkerer Impuls ist nicht notwendig. Es sollte sich immer angenehm und komfortabel anfühlen, nicht angestrengt.
Energieringe statt rein körperlicher Impuls
Der Tai Chi-Meister Wang Yongquan hat zur Umsetzung der o. g. Anforderungen die so genannten Energieringe (氣圈 qìquān) unterrichtet. Dieses Konzept geht auf Yang Jianhou zurück und ist ein wesentlicher Bestandteil der „Old Six Routine“ (老六路 lǎo liù lù), wie diese ältere Traditionslinie des Yang-Stils auch genannt wird. Das Konzept der Energieringe ist ein Kapitel für sich und kann sehr komplexe Formen annehmen.
Für das grundlegende Zusammenspiel von Schulter, Taille und Hüfte reichen jedoch die normalen Energieringe aus. Hier ist noch eine weitere Grundregel erwähnenswert: Wenn sich die Schultern bewegen, bewegt sich nicht die Taille. Und wenn sich die Taille bewegt, bewegen sich nicht die Schultern.
Aber auch ohne den Einsatz der Energieringe ist es schon hilfreich, wenn man körpernah mit Taille und Schultergürtel arbeitet, allerdings sollte auch in diesem Fall stets das YiQi führen.
Keine Verbindung von Taillenbewegung und Atmung
Wang Yongquan hat bezogen auf das Einüben der Taillenbewegung darauf hingewiesen, dass dies nicht bewusst mit der Atmung koordiniert werden solle. Dies könne unter Umständen zur Schädigung der inneren Energie führen. Hier sollte man also entsprechende Vorsicht walten lassen und nichts erzwingen wollen.
© Tai Chi Schule Gunnar Siebel 08/2025.