Gestärktes Immunsystem

Bewegung ist bekanntermaßen grundsätzlich gut für unsere Gesundheit. Ein regelmäßiges Üben von Tai Chi oder Qigong trägt daher definitiv zur Gesunderhaltung bei. Allerdings gibt es bei der speziellen Bewegungsweise von Tai Chi und Qigong Besonderheiten, die nicht unbedingt auf andere Bewegungsarten übertragbar sind – zumindest nicht in dieser Intensität.

Ein starkes Immunsystem ist ein Grundpfeiler des allgemeinen Wohlbefindens. Hier spielen verschiedene Faktoren hinein, die individuell sehr unterschiedlich ausfallen. Es fängt mit der genetischen „Grundausstattung“ an, die uns auf den Weg gegeben wurde. Andere Faktoren sind Ernährung, Schlaf, Stressniveau, psychische Konstitution, Umwelteinflüsse usw.

Neben diesen Faktoren spielt für ein gutes Immunsystem das Lymphsystem1 eine entscheidende Rolle. Genau hier setzen Tai Chi und Qigong an. Wenn man sich eine Abbildung zum menschlichen Lymphsystem anschaut, fallen bestimmte Bereiche mit einer höheren Anzahl von Lymphknoten auf: Kniekehlen, Leistengegend, Achselhöhlen, der Schulterbereich und der Hals:

Das Lymphsystem des Menschen

Was hat das nun mit Tai Chi und Qigong zu tun? Die Bewegungen sind so konzipiert, dass exakt diese Bereiche ständig sanft beansprucht werden. Entweder aktiv durch Mikrobewegungen in diesen Bereichen oder passiv durch subtile Gegenbewegungen verschiedener Körperteile (siehe den Abschnitt zu den sechs Harmonien). Die sanfte Ausführung der Bewegungen gewährleistet, dass die genannten Bereiche entspannt und durchlässig bleiben und die Bewegungen dadurch tief in den Körper hineinwirken können. Ein Durchlauf der Tai Chi-Form wirkt somit wie eine sanfte Dauermassage der Lymphgefäße und regt den Transport der Lymphflüssigkeit durch den Körper an. Dies wirkt sich positiv sowohl auf die Lymphozytenzirkulation als auch auf den Blutkreislauf aus – eine perfekte Unterstützung für das Immunsystem.

In der Regel ist die spezielle Bewegungsweise von Tai Chi und Qigong nicht in unseren alltäglichen Bewegungsmustern enthalten. Man muss also zunächst einmal lernen, wie genau die Bewegungen ausgeführt werden und welche Körperteile an welchen Stellen sein müssen. Insbesondere beim Tai Chi mit seinem längeren Bewegungsablauf ist dies kaum alleine mit einem Video umsetzbar. Hier ist Detailarbeit unter Anleitung erforderlich, wenn man über oberflächlich ausgeführte Bewegungen hinauskommen möchte.

Körperhaltung und Immunsystem

Unser Körper reagiert auf verschiedenen Ebenen unmittelbar auf unsere Körperhaltung. Wenn wir in einer überfüllten Bahn eingequetscht stehen oder sitzen, fühlen wir uns schnell unwohl. Umso angenehmer das Gefühl, wenn wir dann nach dem Aussteigen wieder eine offenere Haltung einnehmen und frei durchatmen können.

Der Effekt der Körperhaltung ist nicht zu unterschätzen. Im Körper wird eine Kaskade von Reaktionen im Nervensystem ausgelöst. Negativ bei eingesunkener und gekrümmter Haltung, positiv bei aufrechter und offener Haltung. Entsprechend sind die Auswirkungen auf unseren emotionalen Zustand und unser Immunsystem.

Ein Paradebeispiel für eine offene Körperhaltung mit sehr positiver Wirkung ist das Bild einer Mutter, die ihr Kind mit offenen Armen empfängt:

Offene Körperhaltung einer Mutter, die ihr Kind in Empfang nimmt

Im Tai Chi und Qigong ist die Körperhaltung ebenso offen und aufrecht, d. h. auch auf diese Weise wirkt man positiv auf das Immunsystem. Ein gutes Beispiel ist die Tai Chi-Bewegung der „Einzelnen Peitsche“ (dan bian 单鞭) mit weit auseinander gehenden Armen:

Yang-Stil-Meister Yang Chengfu (1883-1936) mit der Bewegung „Einzelne Peitsche“

Beim Qigong zeigt ein Blick auf das alte Seidentuch von Mawangdui, dass auch hier die meisten Darstellungen eine offene Körperhaltung aufweisen:

Qigong-Übungen auf einem alten Seidentuch
Auszug aus dem über 2.000 Jahre alten Seidentuch von Mawangdui mit Qigong-Übungen

Auch beim „Stehen wie ein Pfahl“ (zhan zhuang 站桩) sind alle Körperhaltungen stets offen und weit. Im Laufe der Zeit überträgt sich die durch Tai Chi oder Qigong eingeübte Körperhaltung auch auf alltägliche Bewegungen. So fühlt sich zum Beispiel das Treppensteigen nach einer Weile ganz anders an und es wird zu einer kleinen Übung im Alltag. Bezogen auf Karate hat einmal ein alter Meister auf Okinawa in einem Interview gesagt, dass man die meisten Fortschritte nicht im, sondern außerhalb des Trainings machen würde – im Alltag bei den unterschiedlichsten Aktivitäten. Denn dadurch potenziert sich das Übungsfeld enorm und die Bewegungsprinzipien werden zur zweiten Natur. Im Tai Chi und Qigong ist dies ebenso.

Energetisches Schutzschild

Da Tai Chi und Qigong einen engen Bezug zur traditionellen chinesischen Medizin aufweisen, darf beim Thema Immunsystem der Hinweis auf das so genannte „Abwehr-Qi“ (wei qi 衛氣; auch Wehrenergie oder qi defensivum genannt) nicht fehlen. Das Abwehr-Qi zirkuliert nach Auffassung der TCM außerhalb der Energiebahnen dicht an der Körperoberfläche und ist für die „Wärme des Fleisches, die gesunde Farbe der Haut, die Öffnung der Poren, den Glanz des Haares, die Beweglichkeit der Gelenke und […] die Abwehrfähigkeit des Organismus gegen jede Art von Heteropathie“2 zuständig. Das Abwehr-Qi funktioniert also wie eine Art Schutzschild, um schädliche Einflüsse von außen fernzuhalten.

Die regelmäßige Praxis von Tai Chi und Qigong aktiviert den Energiekreislauf und löst bestehende Blockaden auf. Dadurch wird auch das Abwehr-Qi gestärkt, d. h. der Körper wird auch in energetischer Hinsicht resistenter.

  1. Mehr Details dazu finden Sie hier bei Wikipedia. ↩︎
  2. Manfred Porkert: Die theoretischen Grundlagen der chinesischen Medizin, Seiten 146-147 der 3. Auflage 1991. ↩︎